Donnerstag, 24. März 2016

Eine allegorische Vision über Wien

Eine allegorische Vision über Wien

(von Christoph Altrogge, Wien)

Ich stehe auf der Praterhauptallee.
Auf einer Bank in der Nähe sitzen Moser, Hörbiger und Helmut Qualtinger als "Herr Karl" und räsonieren.
Kommissar Rex liegt zu ihren Füßen und wird von ihnen mit Wurstsemmeln gefüttert.
Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl tritt zu dem Trio auf der Bank hinzu und wiederholt seinen schon heute historisch gewordenen Satz: "I loass ma mei Wien ned schlecht redn!" *
Eine altmodische Kutsche fährt vor. Franz Josef und Sissi steigen daraus aus.
Von hinter der Kutsche kommt Peter Alexander hervorgesprungen. Er singt ein Lied im Stil der Schnulzen der Fünfziger Jahre, welches von einer Kutsche handelt.
Helmut Seethaler erscheint auf dem Plan. Er schickt sich an, zwischen zwei der Kastanien dort eine Leine mit seinen Zettelgedichten aufzuspannen, wird jedoch umgehend von zwei Metternich'schen Geheimpolizisten in Gewahrsam genommen.
Karl Merkatz als "Bockerer" tritt hinzu. Mit gespielter Naivität verwickelt er die Polizisten in ein Gespräch, um Seethaler die Flucht zu ermöglichen.
Am Rande des Ganzen steht Hitler wie ein unsichtbarer Geist und brüllt irgendwelche wirren politischen Parolen, aber niemand nimmt ihn wahr.
Ebenfalls am Rande des Geschehens hat mein guter alter Freund Gustav Klimt seine Staffelei aufgebaut, um die ganze Szenerie in Öl für die Nachwelt festzuhalten.
Otto Wagner, Adolf Loos und Friedensreich Hundertwasser umlagern Bürgermeister Häupl, weil jeder von ihnen sich an der Gestaltung neuer Gemeindebauten beteiligen möchte.
Völlig unbeteiligt am Geschehen sitzt ebenfalls am Rande der dicke Herr Strudl aus der "Kronenzeitung" an einem einbeinigen Caféhaustischchen mit Marmorplatte.
Caféhaus-Legende Leopold Hawelka tritt an ihn heran und serviert ihm eine Melange.
Alma Mahler-Werfel, in der Literatur oftmals euphemistisch als "Muse" der Künstler beschrieben, obwohl die künstlerischen Fähigkeiten dieser Dame aller Wahrscheinlichkeit nach auf ganz anderen Gebieten gelegen haben dürften, schmeißt sich hemmungslos an die anwesenden Männer heran. Am Ende ihrer Verzweiflung versucht sie es bei mir. Erfolg hat sie erst bei "Joschi Täubler" aus "Kaisermühlen Blues", welcher zu ihr seinen Standardsatz sagt: "I glaab, du stehst a bisserl auf mi."
Anarcho-Moderator Hermes Phettberg geht mit einem Tablett Gläser zwischen den Prominenten hindurch. Sie sind gefüllt mit Frucade oder Eierlikör – die beiden Getränke, aus denen er stets am Anfang seiner Show seine Gäste auswählen lässt.
Orson Welles rennt wie ein aufgescheuchtes Huhn am Rande der historischen Persönlichkeiten hin und her, weil er auf der Flucht vor Verfolgern den Einstieg in die Wiener Kanalisation nicht findet. Bald darauf ist er wieder verschwunden.
Gleich danach zeigt sich der Grund seiner Panik: Der Wiener Kult-Ermittler "Trautmann" ist ihm auf den Fersen. Bei seinem Auftritt adjustiert ihm Falco, welcher sein bekanntes Lied "Drah di ned um, oh oh oh – schau, schau, der Kommissar geht um!" singt.


Nun erscheint Richard Lugner. Er spricht eine von den historischen Persönlichkeiten nach der anderen an, ob sie als Ehrengast in seiner Loge beim nächsten Opernball erscheinen. Doch er blitzt bei allen ab. Einzig allein Adolf Hitler zeigt Interesse. Doch dann werden sich die beiden über die Modalitäten nicht einig. Die Lugner-City als Auftrittsort für die obligatorische Autogrammstunde zuvor ist Hitler zu klein. Er will sie aus historischen Gründen unbedingt auf dem Heldenplatz abhalten. Somit muss Lugner unverrichteter Dinge von dannen ziehen.
Mehrere junge Männer steuern auf den Auflauf hinzu. Alle tragen sie T-Shirts mit der Aufschrift "I love FPÖ". An ihren Händen halten sie osteuropäische, türkische, marokkanische oder sogar schwarzafrikanische Freundinnen.
Zunächst unbemerkt von Allen haben am Rande des Geschehens Johann Strauss und sein Orchester Aufstellung genommen. Auf sein Kommando hin beginnen sie den Donauwalzer zu spielen. Ganz plötzlich, wie aus dem Nichts, begann sich die Fläche mit walzerdrehenden Tanzpaaren zu füllen; von der Aufmachung ganz klassisch die Damen in Weiß und die Herren in Schwarz.
Plötzlich erscheint Sigmund Freud in meiner Vision und fängt an, mich tiefenpsychologisch zu analysieren, weshalb ich mir einen solch hirnverbrannten Schwachsinn ausdenke.
Als Reaktion darauf versetze ich ihm wortlos einen so brutalen Faustschlag auf die Nase, dass er nur noch laut aufschreien kann. Es ist dies meine Art, ihm auf diplomatische und feinfühlige Art klarzumachen, dass ich es nicht sonderlich schätze, wenn man in meinem Innenleben herummacht.




* Tatsächlich tätigte der Wiener Bürgermeister diesen Ausspruch erst 13 Jahre später. Während der gemeinsamen TV-Diskussion der fünf Spitzenkandidaten der Wiener Gemeinderatswahl 2010, der so genannten "Elefantenrunde", am Vormittag des 3. Oktober 2010 im ORF unter der Leitung von Wien-Chefredakteur Paul Tesarek verteidigte Häupl die Wiener Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre mit den Worten "Ich lasse mir Wien jedenfalls nicht schlecht reden."
In der Öffentlichkeit wurde dieses Zitat dann meistens in der Form "Ich loass ma mei Wien ned schlechtreden!" wiedergegeben.

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